Sportdiktatur : Bewegungskulturen im nationalsozialistischen Österreich

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Primäre Intention des Buches ist die Reduktion des enormen österreichischen Forschungsdefizit zur Aufarbeitung des Sportlebens unter dem NS-Regime. Daher wird der gesamte Bereich des Sportes im Territiorium Österreichs zwischen 1938 und 1945 dargestellt: Der Breiten- und Spitzensport, Massen- und Minderheitensport, den Vereins- und Jugendsport sowie der Sport der Formationen. Auf Grund der Materialfülle wird die Überblicksdarstellung von einer Detailanalyse zu drei Zeitpunkten begleitet: In den Monaten nach dem „Anschluss”, rund um den Kriegsbeginn und in der Endphase des Regimes nach Stalingrad. Es lässt sich zeigen, dass und wie das Regime die Rahmenbedingungen des Sportes diktierte, doch manifestiert sich zugleich eine Grauzone, in der die Beteiligten durch Strategien gegenseitiger Anpassung Freiräume vorfanden bzw. schufen, die in je spezifischer Weise genutzt wurden, vom Regime etwa zur Beruhigung der Arbeiterschaft oder zur Kalmierung anti-preußischer Ressentiments, von den Aktiven zur Erlangung von Begünstigungen und von den Zuschauern zur Erfüllung eines „kleinen Glücks”. Gerade die Betrachtung des alltäglichen Sportgeschehens und der darin ständig erneuerten Aushandlungen zwischen Regime und Bevölkerung verweisen auf den Beitrag des Buches zur NS-Dskussion, mit welchem das Terrain des Sportes überschritten wird: Das NS-System ist nicht aus dem Zusammenspiel verabsolutierter Macht, Kompetenzen und Möglichkeiten des Regimes mit Erfahrungen und Gefühlen des Ausgeliefertseins zu verstehen, aus dem die Geschichtsschreibung das Bild eines Intermezzos konstruiert, das nicht in den Ablauf der Moderne eingegliedert werden kann. Die Betrachtung des Sportes verdeutlicht, wie sehr im NS-Staat „Normalität” aufrecht erhalten wurde, wie sehr zum anderen vom Regime intendierte Veränderungen von den Menschen mit getragen wurden. Das betrifft etwa Definitionen von Gemeinschaft, von Geschlecht, Jugend und Leistung. Diese Redefinitionen kultureller Felder waren nicht nur oktroyiert, sondern wurden von den „Volksgenossen” und „-genossinen” aufgegriffen und geteilt. Es war gerade der Sport, die diese Artikulationen bestätigte, indem er ihnen Authentizität verlieh und sie scheinbar an die menschliche Natur koppelte. So kann die Analyse des Sportgeschehens im Nationalsozialismus dazu dienen, den aktuellen Blick auf den NS-Staat zu hinterfragen: Für alle, die dazu gehören durften, bot das Leben trotz Holocaust und Weltkrieg auch Angebote einer angenehmen, selbstbestimmten und vergnügten Existenz. Wer diese Seite der NS-Diktatur ausklammert, wird nicht imstande sein, die „Faszination” und/oder Akzeptanz dieses Regimes zu verstehen – und ruft damit bei den nachfolgenden Generationen jene weitgehend sinnleeren Metaphern der Ablehnung hervor, wie sie vielfach die aktuellen Diskurse zum Nationalsozialismus prägen.

Wien : Turia und Kant, 2008

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